Anton Mauve, 1838 - 1888, Schafherde und Schäfer

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:%27Shepherd_and_Sheep%27_by_Anton_Mauve,_Cincinnati_Art_Museum.JPG

Artgerecht und untertan

Eigentlich wollte ich nur ein bisschen herumblödeln. Mein Handy hatte mir nämlich einen Artikel empfohlen, der mich und die vielen anderen potenziellen Leser darauf hinweisen soll, dass wir seltener krank werden, wenn wir uns artgerecht ernähren. Aber hoppla! Nur ein sprachlicher Lapsus – oder habe ich schon wieder nicht gemerkt, dass sich die Paradigmen, in denen wir uns gedanklich einordnen, grundlegend geändert haben? Falls Sie Interesse an diesen Hinweisen zur Ernährung der menschlichen Art haben, der Artikel vom 14.03.2022 ist hier:
  https://www.focus.de/gesundheit/ernaehrung/psychologin-ueber-kriegs-angst-wir-sind-durchaus-nicht-hilflos_id_62362687.html

 

Wie gesagt, ich wollte eigentlich nur ein bisschen herumblödeln. Über die artgerechte Menschenhaltung. Und habe gegoogelt. Doch die Ergebnisse sind einfach nur zu blöd. Da kann ich mir meine Blödeleien wirklich besser klemmen. Als Erstes begegnet mir ein Online-Shop mit dem Namen artgerecht. Ich verlinke nicht, verrate Ihnen aber, dass die Gründer als Zeichen eines irgendwie gemeinten „Quasis“ einen Apostroph hinter die Art gesetzt haben. Ansonsten ein Wort, klein. Wenn Sie fündig werden wollen: Sie können mit Hilfe der dort angebotenen Produkte, die alle unserem menschlichen Bauplan entsprechen, artgerecht (ich weigere mich, das Wort in diesem Zusammenhang zu vertüddeln) Ihren Darm sanieren.


Vielleicht könnte man das noch komisch finden. Aber: „Das andere Babybuch“ – so der Untertitel – hat als Buchtitel das Adjektiv artgerecht gewählt. Kleingeschrieben. Ich muss wohl annehmen, dass es inhaltlich um artgerechte Babyhaltung gehen wird. Auch hier weigere ich mich, einen Link rauszurücken, habe das Buch aber bei der Google-Suche leicht gefunden.


Besonders blöd wird’s jetzt, wenn wir im Duden nachschlagen: Das Wort artgerecht hat nämlich dort die Bedeutung: den Ansprüchen einer bestimmten Tierart genügend. Die beispielhafte Wortbildung, nur damit wir wissen, wie man das Wort im wirklichen Leben richtig anwendet, lautet im Duden: artgerechte Ernährung. Aha. Da war der Focus auch. Und immerhin: Der Mensch ist ja ein Säugetier.


Der Zirkelschluss liegt nicht nur nahe, sondern auf der Hand: Der Mensch hat sich eingeordnet ins Tierreich. Gleichberechtigt stehen wir dort jetzt neben dem Affen, der Kuh und dem Schaf. Nichts mit: Macht Euch die Erde untertan. Das ist eh schon lange out – und noch länger falsch verstanden.


Aber bleiben wir trotzdem bei der Erde und ihrer Erschaffung: Gott wird dort mehrmals schöpferisch tätig, um die Tiere zu erschaffen. Nach ihrer Art. Es ist ziemlich egal, welche Bibelausgabe Sie zur Hand nehmen: „Ein jegliches nach seiner Art“ ist der sprachliche Standard. Den Menschen aber, den erschafft Gott zum Schluss. Sein letztes Werk. Und der Mensch wird keinesfalls nach seiner oder irgendeiner anderen Art erschaffen. Nein, der Mensch ist biblisch gesehen weder artig, noch Artgenosse. Er wird geschaffen nach seinem – nämlich Gottes – Abbild. Und damit wir das nicht vergessen, steht der Satz dort gleich zweimal hintereinander: So schuf Gott den Menschen nach seinem Abbild, nach Gottes Bild schuf er ihn. (Pattloch, 1. Buch Moses, 1,26, woanders sicher ähnlich).

 

Nun will ich der Blödelei doch lieber den Rücken zuwenden und es mit psychologisch-mythologischer Deutung versuchen: Kann es sein, dass das Abstreiten der Existenz Gottes nun auch – folgerichtig, ohne Zweifel – die Ablehnung der menschlichen Gotteskindschaft zur Folge hat? Dann hätten wir ja immerhin gemerkt, dass wir selbst Gott nicht ersetzen können. Gottes Ebenbild jedenfalls sind wir sprachlich nicht mehr. Wir sind nicht Gott. Wir sind nicht Kirche. Wir sind Art. Super – die Frage ist nur, in wessen Hand wir dann die artgerechte Menschenhaltung (gut, der hier dringend notwendige Euphemismus müsste dann wahrscheinlich Menschenbildung heißen) legen sollen.


Nein, wir wollen uns die Erde nicht untertan machen. Wer sind wir denn? Doch keineswegs die Herrscher der Welt. Dass ein ganz anderer Auftrag darin liegt, wenn uns nach der Schöpfung die Erde in die Hände gelegt wird, wer will das wissen? Dass darin der Auftrag zum Kümmern, Sorgen und Hegen lag: Wer will das wissen? Wir nicht, wir sind nicht Abbild, wir sind jetzt Artgenossen. Und als solche können wir uns still und leise aus der Verantwortung stehlen: Wir sind nicht schuld, wir machen uns die Erde nicht untertan. Wir machen uns der Erde untertan. Vor allem aber: Wir stehlen uns gerade ganz geschickt aus der Verantwortung. Vielleicht nicht ganz artgerecht, aber immerhin stilvoll.

 

Und wenn Sie diesen Gedanken verdaut haben, dürfen Sie gerne nach oben zurück und Ihren Darm artgerecht sanieren.


© Mechthild Eissing

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